Veränderung beginnt bei mir   Leave a comment

„Der gefährlichste Ort für einen Menschen ist seine Familie, sein Zuhause“ ist das traurige Fazit vieler Studien, und das nicht irgendwo weit weg in der dritten Welt, sondern ganz aktuell hier bei uns in Mitteleuropa, in unserer Stadt, in unserem Wohnviertel, sehr oft in unserer eigenen Familie. Deborah erzählte mir eines Tages, dass ihre elterliche Wohnungstüre wie eine Grenze wirkte, auf der einen Seite des Türblattes Deutschland, auf der anderen Seite Arabien: arabische Sprache, arabisches Essen, Brauch­tum, Möbel, selbst im Fernsehen nur arabische Sender. Du gingst durch die Tür – und warst auf einem anderen Planeten, in einem anderen Universum.
Da dachte ich bei mir: in meiner eingebo­renen, christ­lichen Familie war es nicht viel anders. Draußen vor der Tür die eine Welt, Menschen, Kinder. Und drinnen eine vollkommen isolierte Welt, wo das Wort „normal“ eine ganz andere Bedeutung hatte, eine Welt der Familiengeheim­nisse und des Schweigens, eine Welt mit eigenen Regeln und Gesetzen. Allzuoft endet Deutschland und die damit verbundenen Rechte und sozialen Errungenschaften für den einzelnen auch bei uns vor der Türschwelle zu unserer Wohnung.
Der unlängst verstorbene Nervenarzt Dr. Lutz Rosenkötter teilte unserer Gruppe mit, dass „Gewalt in der Kindheit eine der wesentlichen Ursachen für spätere psychische Erkrankungen ist“. Familiäre Gewalt gilt weltweit als eines der größten Gesundheitsrisiken für Frauen und Kinder. Sie rangiert bei Frauen vor Verkehrsunfällen und Krebserkrankungen. Es gibt eine ganze Reihe von Erkrankungen, die auffällig stark mit Gewalterfahrungen in der Kindheit korrelieren. Aber es gibt auch die anderen, ganz persönlichen Folgen.

Persönliche Folgen von Gewalterfahrung:
Das sind soziale Ängste. Da ist die Unfähigkeit, eine Partnerschaft einzugehen. Man fühlt sich isoliert, introvertiert, man weiß über seine Gefühle nicht Bescheid, oft ist da diese Diskrepanz zwischen innen und außen. Ich zitiere eine Frau: „Nach außen bin ich eine Powerfrau, aber innen eine Ruine!“ Man lebt wie hinter einer Maske, bloß die anderen nichts merken lassen! Wie oft sagen mir Menschen: „Meine Eltern, meine Familie dürfen nicht wissen, wie schlecht es mir wirklich geht!“ Auch der Ehemann und Vater möchte nicht, dass seine Familie mitbekommt, dass es ihm schlecht geht, dass er vielleicht in der Familie oder am Arbeitsplatz versagt hat, dass er, wie man so schön verhüllend sagt, „Probleme hat“. Um diese Dinge soll es in meinem Vortrag gehen.

Kann man die Folgen der Gewalterfahrung heilen im Sinne von „ungeschehen machen“? Nein. Wie eine Frau mir gegenüber bestürzt feststellte: „Die Taten meines Vaters sind zwar mittlerweile strafrechtlich verjährt, die Psychose meines Bruders aber nicht“. Alles, was man tun kann, was wir damit auch für uns tun können, ist zu versuchen, als Betroffene ein lebenswertes Leben anzustreben. Zum besseren Verständnis fange ich einfach mal bei meiner Geschichte an. Bei sich selbst bleiben ist einer der wichtigen Grundsätze der Selbsthilfe­bewegung.

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Veröffentlicht 11. Januar 2011 von Michael

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